Lichteinfall
Hartwig Knack

Eröffnungsrede zur Ausstellung in der Kirche St. Peter an der Sperr Wiener Neustadt
2015

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Lange bevor Licht zum Gegenstand mathematischem, physikalischem oder künstlerischem Interesse wurde, haben es die Menschen als göttlich verehrt. In seiner Hinwendung auf das Göttliche, aber auch auf das Immaterielle, das Gute und das Leben stellt das Phänomen Licht eines der Ursymbole der Menschheit dar.

Die Künstler des Impressionismus nutzten das natürliche Sonnenlicht für ihre Malerei und entdeckten Farbe als Träger des Lichts. Nach dem 1. Weltkrieg war es vielen Künstlerinnen und Künstlern ein Anliegen, mittels ihrer Kunst zu einer neuen, friedlicheren, um nicht zu sagen „helleren“ Welt beizutragen. Um 1920 wurden am Bauhaus in Weimar, das eine neue gesellschaftliche und soziale Rolle der Künste anstrebte, neue Wege der künstlerischen Gestaltung mit Licht eingeschlagen. Rund um László Moholy-Nagy wurde mit Lichtprojektionen versucht, eine „Malerei mit Licht“ zu kreieren. Ab den 1960er Jahren experimentierte die Düsseldorfer Künstlergruppe Zero – Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker – mit lichtkinetischen Installationen, ehe sich amerikanische Künstler wie Robert Irwin, Dan Flavin und allen voran James Turrell dem Licht wie Wissenschaftler näherten. Sie untersuchten das Licht auf seine physikalisch-optischen Eigenschaften im Hinblick auf menschliche Wahrnehmungsstrukturen.

Gerlinde Thuma steht mit ihren vier speziell für “St. Peter an der Sperr“ vorbereiteten Werkgruppen und einer Auswahl von Arbeiten einer seit 2001 entstandenen Bilderserie in gewisser Weise in der Tradition jener Kunstschaffenden, die sich mit dem Themenspektrum “Licht“ auseinandersetzen. Schließlich verfolgt sie aber doch einen ganz eigenen Ansatz: In ihren Arbeiten sucht man vergebens nach Neonröhren oder Glühbirnen, auch lichtkinetische Inszenierungen sind nicht zu finden. Am ehesten scheint der Begriff der Pleinairmalerei von Belang und doch bedient sie sich nicht der Farbe, um atmosphärische Stimmungen in impressionistischer Manier einzufangen. Hingegen rückt das ortsspezifische Licht Afrikas gleichsam in die Position des Hauptakteurs eines besonderen Malprozesses.

Während ihres Aufenthaltes in Südafrika im Februar 2015 entwickelt Thuma unter anderem die Bildserien “Belichtungen“ und “Mantis“. Die Künstlerin arbeitet hier mit einer lichtempfindlichen Flüssigkeit, die sie auf Papier und Leinwand aufträgt, etwa fünf bis acht Minuten der Sonne aussetzt und so gleichsam wie bei einem Fotoentwicklungsprozess belichtet. Durch mehrere Schichten versetzt aufgelegter Transparentpapiere gelangt sie zu blauen Abstufungen in der Farbintensität: Je dünner die Lage der transparenten Papierbögen, desto intensiver entwickelt sich die blaue Farbigkeit und umgekehrt. Die auf diesem Weg entstehenden so genannten Cyanotypien zeigen diffuse Lichtsituationen und teilweise durch harte Kanten definierte Farbräume, die durch ihre transparente Leichtigkeit eine enorme Tiefenwirkung erzielen.

 Fasziniert von Fangschrecken beobachtet Thuma im südafrikanischen Pilanesberg-Nationalpark eine Gottesanbeterin. Einerseits präsentiert sie das Insekt auf großen Leinwandbahnen im Kirchenraum von St. Peter in der beschriebenen Technik der Cyanotypie zeichenhaft schwebend als raumgreifende Installation, das einfallende Sonnenlicht miteinbeziehend. Andererseits sehen wir die Gottesanbeterin in der zweiteiligen Fotomontage “Mantistanz“ mal mit Hintergrund räumlich, mal im Gegenlicht wie skriptuale Kürzel dargestellt.

Die fünfteilige großformatige Leinwandarbeit “Ikarus“ zeigt eine vermeintlich zu Boden sinkende Vogelfeder. Die realistische Darstellungsweise der Feder vor einem ungegenständlichen Hintergrund, die in keinem Moment zur Gänze dargestellt ist, erinnert an die Aneinanderreihung von filmischen Einzelbildern. Eine imaginierte Kamera fokussiert das zeitlich und räumlich prozessuale Fallen der Feder, dessen Schaft die Leinwand vertikal in zwei Hälften teilt. Die mythologische Figur des Ikarus ist in dieser Arbeit nicht allzu wörtlich zu verstehen, hingegen zeigt Thuma durch die malerische Zweiteilung der Bilder von Fragilität und Verletzlichkeit geprägte Wirklichkeiten oder Möglichkeiten auf, für die es sich zu entscheiden gilt.

Die Auswahl der aus insgesamt über 20 Werken bestehenden Serie von an menschliche Formen gemahnenden Figuren rundet das Gesamtbild der Ausstellung ab. Aus einem dunklen Bildraum treten scheinbar Figuren hervor, die sich einzig durch ihre diffusen Umrisse konstituieren. Beim genauen Hinsehen fällt auf, dass die schemenhaften hellen Partien den Blick auf die grundierte Leinwand offenbaren und die mit Kohlestaub gezeichneten dunklen rahmenden Bereiche für ihre Ausformung verantwortlich sind. Die Künstlerin führt uns quasi hinters Licht, spielt mit Prozessen individueller Informations- und Perzeptionsverarbeitung und lässt auf diesem Weg Vorstellungsbilder von wahrgenommenen Teilaspekten der nur durch Licht sichtbar werdenden Wirklichkeit entstehen.

Hartwig Knack