Aquaplaning auf der Leinwand
Brigitte Borchhardt-Birbaumer

erschienen am 12.1.2018 in der Wiener Zeitung
http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/kunst/940498_Aquaplaning-auf-der-Leinwand.html

 

Im Kunstraum Nestroyhof präsentiert Lassnig-Schülerin Gerlinde Thuma die Ausstellung "Zeitgleiche Räume".

Raum, Zeit und Bewegung sind die künstlerischen Leitlinien von Gerlinde Thuma, die nach der Kunstschule Herbststraße, 1980 in Maria Lassnigs Meisterklasse an der Angewandten aufgenommen wurde.

Dort hat sie der Animationsfilm und das in Kadern bewegte Bild mehr fasziniert als die Neigung ihrer Lehrerin zu starken Ölfarben, diese verwendet Thuma bis heute nicht. Ihre Sache sind eher erdige Töne, ab und zu tauchen als Kontraste starkes Blau oder Ziegelrot auf. Kohle und Acryl begeistern sie mehr als ölige Paste. In den 1990er Jahren ist Thuma mit seriellen Arbeiten und Bildpaaren bekannt geworden. Die davon weiter entwickelten "entsprechungen", "gleichungen" oder "verschränkungen" bilden nun Zentren in einer Personale im Kunstraum Nestroyhof. Dort werden seit 2016 konsequente Positionen mit breitem Oeuvre, die noch keiner großen Öffentlichkeit durch Museumsausstellungen bekannt sind, im Rahmen des Projekts "Serendipity" präsentiert. Thuma ist dabei die zweite. Der Begriff von Horace Walpole aus England im 18. Jahrhundert kommt von Serendip, was arabische Händler auf der Insel Ceylon bezeichnete. Das wird heute übertragen auf die Gabe, etwas Wertvolles zu entdecken, ohne danach gesucht zu haben.

Das passt zum zeichnerisch tastenden Naturbegriff der Künstlerin Gerlinde Thuma, die zur Arbeit auf selbst geschöpften Papieren und Leinwänden auch Environments und Land-Art-Projekte im öffentlichen Raum vorzuweisen hat. Von Letzteren wurde "Sitis Mundi" (Der Durst der Welt), 2006 für den Teich in Schloss Hellbrunn (Salzburg) konzipiert, in die Schau "zeitgleiche räume" eingebaut. Adaptiert sprechen die drei Riesenstrohhalme in Form von stehenden, oben geknickten Röhren im trockenen Kunstraum ironisch von Mangel und Wasserverschwendung, damit auch sehr politisch von Durst als Gier.

Weiße Schatten

Thuma hat die Natur nach ihren Hell- und Dunkelvergleichen, oft mit Anspielungen auf Pflanzen, Figuren und Kontinente, als angedeutete Fährten oder Erdstrukturen, "humus", sogar direkt mitwirken lassen, indem sie etwa für "AEOLUS strichcode" Gräser auflegte und mit Farbe besprühte. Nach Wegnahme der Halme sind weiße Schatten als Informationsträger auf der Leinwand verewigt.

Dunkle Schatten spielen eine große Rolle für ihre mit Kohle aufgetragenen Netzstrukturen in Bewegung, die durch Übermalung mit weißer Acrylfarbe fliegende Körper suggerieren. Das Absinken einzelner Zeichenraster gibt es aber auch in dunkel durch mit Wasser bearbeiteten Kohlestaub. In Kroatien hat sie zuletzt die Leinwände in die Meeresströmung der "tiden" gehalten und das starke Tränken der Leinwand vor der Bearbeitung mit verschwimmendem Kohlestaub nennt Thuma ironisch "Aquaplaning auf der Leinwand".

Auffallend in der Schau sind die großen Kopfgesten nach kleinen Kohleskizzen oder die vertikal hängenden monumentalen Leinwände "ikarus" mit Ausschnitten einer dunklen Vogelfeder in verschiedenen Rottönen. Royales Blau erzeugt Thuma mit "Emanationen des Lichts" (Alexandra Schantl) auf fotoempfindlichen Cyanotypie-Duos, in "nest of . . .Q oder "keep it" hinterlassen Schatten von Nestern oder ihr Handabdruck die weißen Motive.

Brigitte Borchhardt-Birbaumer

PDF Wiener Zeitung 12.1.2018